Dauerhafter Schutz nur bei Verwertbarkeit? Zur Verschränkung von Schutzgewährung und sog. Integrationsleistungen: Seminar-Dokumentation
Dokumentation des Seminars am 6. und 7. Juni 2018 in der Akademie Waldschlösschen
Einladung Seminar Waldschlösschen 6. und 7. Juni 2018
Am 6. und 7. Juni 2018 fand in der Akademie Waldschlösschen bei Göttingen ein vom Flüchtlingsrat Niedersachsen im Rahmen der niedersächsischen IvAF-Netzwerke und des IQ-Netzwerkes Niedersachsen veranstaltetes Seminar für hauptamtlich Tätige in der Arbeitsmarktintegration von Geflüchteten statt.
Unter dem Titel „Dauerhafter Schutz nur bei Verwertbarkeit? Zur Verschränkung von Schutzgewährung und sog. Integrationsleistungen“ wurden die Entwicklungen in der Asyl- und Flüchtlingspolitik mit Wirkung auf die Integration von Flüchtlingen in Ausbildung und Arbeit diskutiert. Neben Fachbeiträgen, die für die konkrete Praxis in der Arbeit der Teilnehmer_innen von Bedeutung waren, wurden auch aus wissenschaftlicher Sicht die Veränderungen in der Politik gegenüber Schutzsuchenden betrachtet. Darüber hinaus wurden die sich abzeichnenden Herausforderungen für die Arbeitsmarktprojekte vor dem Hintergrund aktueller politischer Debatten diskutiert.
Im Folgenden werden die Beiträge der Referent_innen dokumentiert:
Jonas Wiedner, Institut für Soziologie und Sozialpsychologie, Universität Köln:
Wissenschaftliche Perspektiven auf die Arbeitsmarktintegration von Geflüchteten
Jonas Wiedner vom Institut für Soziologie und Sozialpsychologie an der Universität Köln arbeitet im Forschungsprojekt „Flucht: Forschung und Transfer“. Im Rahmen dieses Forschungsprojektes wurden die bisherigen Erkenntnisse zur Arbeitsmarktintegration von Geflüchteten ausgewertet, die u.a. in einem „State-of-Research-Papier“ veröffentlicht wurden. Jonas Wiedner betonte, dass es bisher wenig unabhängige Forschung zu dem Thema gäbe, dagegen vielfach im Auftrag der Regierung Untersuchungen stattfinden würden.
Einige wesentliche Erkenntnisse aus der Forschung: Eine lange Asylverfahrensdauer wirkt sich negativ auf die Erwerbsquote bei Geflüchteten aus. Wenig überraschend auch die Feststellung, dass sich Arbeitsverbote negativ auf die Erwerbsbeteiligung auswirken.
Dr. Gesa Busche, Flüchtlingsrat Sachsen, IvAF-Netzwerk Rescue Continued:
Auswertung der „3+2-Regelung“: Anwendung im Bundesvergleich, Erfahrungen und Handlungsbedarfe
Dr. Gesa Busche vom Flüchtlingsrat Sachsen und Koordinatorin des IvAF-Netzwerkes Rescue Continued erläuterte die sog. „3+2-Regelung“ nach § 60a Abs. 2 AufenthG, nach der ausreisepflichtige Geflüchtete für die Dauer einer Ausbildung eine Duldung erhalten können und im Anschluss bei erfolgreichem Abschluss der Ausbildung einen Anspruch auf eine Aufenthaltserlaubnis haben, wenn sie im erlernten Beruf einen Arbeitsplatz finden.
Gesa Busche hat auf Grundlage von bundesweiten Rückmeldungen aus den IvAF-Netzwerken eine vergleichende Tabelle zur Anwendung der „3+2-Reglungen“ in den Bundesländern vorgestellt.
Sie wies darauf hin, dass es Anwendungshinweise des Bundesinnenministeriums zur Erteilung von Duldungen und darin speziell auch zur Erteilung von Ausbildungsduldungen gibt. Im Beitrag von Gesa Busche wurde offensichtlich, dass es trotzdem in den einzelnen Bundesländern unterschiedliche Praxen bei der Erteilung von Ausbildungen gibt. Zum Teil haben die jeweiligen Länderministerien Ergänzungen oder Einschränkungen zu den Hinweisen des BMI vorgenommen, andererseits scheint es durchaus unterschiedliche Interpretationen des Gesetzes und der Hinweise des BMI zu geben, zudem ist die Umsetzung der Anwendungshinweise für die Länder nicht verbindlich. Auch die Rechtsprechung in den Bundesländern hat Auswirkungen auf die Umsetzung der „3+2-Regelung“.
Unterschiede in der Anwendung zwischen den einzelnen Bundesländern werden u.a. deutlich bei der Frage, welche Ausbildungen im Sinne der Regelung nach § 60a Abs. 2 AufenthG anerkannt werden, was unter Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung zu verstehen ist und die Anforderungen an die Flüchtlinge bei der Identitätsaufklärung und Passbeschaffung. Vielfach scheitern Ausbildungsduldungen an der Nichterteilung der Beschäftigungserlaubnis, weil den Betroffenen vorgeworfen wird, nicht ausreichend an der Identitätsaufklärung oder Passbeschaffung mitgewirkt zu haben oder weil konkrete aufenthaltsbeendende Maßnahmen bevorstünden.
Eine vom IvAF-Netzwerk Rescue Continued erstellte Übersicht über die jeweilige Umsetzung der „3+2-Regelung“ in den einzelnen Bundesländern findet sich hier
Rechtsanwalt Nicolai Zipfel, Hannover:
Aufenthaltsmöglichkeiten über sog. Integrationsleistungen wie schulische/betriebliche Ausbildung und Arbeit
Rechtsanwalt Nicolai Zipfel aus Hannover stellte die Bleiberechtsregelungen nach den §§ 25a/b, 25,5 und 23a AufenthG im Detail vor. Dabei berichtete Herr Zipfel von seinen Erfahrungen mit Ausländerbehörden und Gerichten und erläuterte, worauf bei der Beantragung zu einer der genannten Aufenthaltserlaubnisse geachtet werden sollte. U.a. wies Rechtsanwalt Nicolai Zipfel darauf hin, dass aus der Europäischen Menschenrechtskonvention Artikel 8 (Schutz des Privatlebens) ein rechtliches Abschiebehindernis erwachsen kann, dass Grundlage für eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG sein kann. In der Diskussion haben die Teilnehmenden auf Probleme in den einzelnen Bundesländern abgestellt.
Erläuterungen zu Möglichkeit der Aufenthaltsverfestigung über sog. Integrationsleistungen sind auch dem Artikel von Olaf Strübing vom Flüchtlingsrat Niedersachsen, der im Asylmagazin 3/2015 erschien, zu entnehmen.
Artikel Olaf Strübing, Asylmagazin 3/2015
Prof. Dr. Hannes Schammann, Institut für Sozialwissenschaften, Universität Hildesheim:
Wie ist die Entwicklung der Asyl-und Flüchtlingspolitik der letzten Jahre aus wissenschaftlicher Sicht einzuordnen? Gefährdet die Verknüpfung von Schutzgewährung mit sog. Integrationsleistungen eine humanitäre Flüchtlingspolitik?
Prof. Dr. Hannes Schammann von der Universität Hildesheim ordnete mit seinem Beitrag die Entwicklung der Asyl- und Flüchtlingspolitik wissenschaftlich ein. Er sprach in diesem Zusammenhang von drei sog. Arenen der Debatten, die in der öffentlichen Wahrnehmung bestimmend sind. Dies wäre die Debatte um Sicherheit aus verschiedenen Perspektiven, zum einen aus Sicht der zuwandernden Flüchtlinge und Migrant_innen, zum anderen aus Sicht von Staat und Gesellschaft. Eine weitere Debatten-Arena ist von wirtschaftlichen Fragen bestimmt: Was bringt die Migration (volks-)wirtschaftlich und wie lässt sich der Prozess gerecht gestalten? Die dritte Debatte schließlich dreht sich um die Frage der Identität und in wie weit sich diese durch Migration verändert oder in Frage gestellt wird.
Unter Rückgriff auf die Theorie des Opinion Policy Gap von Gary Freeman erklärte Prof. Schammann, dass es zwischen der staatlichen Politik und der öffentlichen Meinung (zumindest in Teilen der Bevölkerung) bezogen auf die drei o.g. Arenen der Debatte um das Jahr 2015 eine große Kluft gab, die nun in der jüngeren Vergangenheit mit strikteren Maßnahmen gegen Zuflucht suchende Menschen geschlossen werden solle.
Dabei gäbe es eine Entwicklung hin zu einer Verschränkung von Schutzgewährung und dem Nachweis sog. Integrationsleistungen. In den vergangenen Jahren habe es eine Liberalisierung der Flüchtlingspolitik gegeben, worüber in der Konsequenz leistungsorientierte Selektionskriterien Eingang in ein eigentlich rein humanitäres Verfahren gefunden hätten. Dauerhaftes Aufenthaltsrecht von Personen mit Schutzstatus muss nun i.d.R. durch Leistung erworben werden und wird v.a. von der Lebensunterhaltssicherung, dem erfolgreichen Schulbesuch oder einer Ausbildung sowie ausreichenden Deutschkenntnissen abhängig gemacht. Diesen Richtungswechsel in der Asylpolitik bezeichnet Schammann als meritokratische Wende.
In jüngerer Zeit werde diese „meritokratische Wende“ durch das Wiedererstarken der anderen beiden Arenen „Sicherheit“ und „Identität“ abgemildert bzw. gebrochen. Daher würden derzeit utilitaristische und tendenziell nativistische (also Vorrechte, die damit begründet werden, dass jemand im Land geboren wurde) Argumentationen die deutsche Flüchtlingspolitik dominieren. Schammann wies darauf hin, dass auch NGOs und Akteure der Flüchtlingsarbeit teilweise unreflektiert die hegemonialen Diskurse reproduzieren würden. Hier müssten sich auch die IvAF-Netzwerke die Frage stellen wo sie stehen.
Präsentation Prof. Dr. Hannes Schammann
Norbert Grehl-Schmitt, Caritasverband Osnabrück, IvAF-Steuerungsgruppe:
Aktuelle und zu erwartende Entwicklungen im Aufenthaltsrecht und beim Arbeitsmarktzugang vor dem Hintergrund der Koalitionsvereinbarungen zur Bundesregierung
Norbert Grehl-Schmitt vom Caritasverband Osnabrück und Mitglied in der bundesweiten Steuerungsgruppe der IvAF-Netzwerke gab den Teilnehmer_innen zunächst einen Rückblick über die Entwicklung von Arbeitsmarktprojekten, die Geflüchtete als Zielgruppe hatten. Waren Geflüchtete in der Anfangsphase von 2002 bis 2007 noch eine kaum wahrgenommene Zielgruppe im Europäischer Sozialfonds (ESF), die v.a. erheblichen Restriktionen beim Arbeitsmarktzugang unterlagen, gab es ab 2007 in Zusammenhang mit der damaligen Bleiberechtsregelung eine deutliche Öffnung des Arbeitsmarktes für Flüchtlinge im Asylverfahren und mit Duldung. Diese Entwicklung der Liberalisierung des Arbeitsmarktzuganges setzte sich zunächst weiter fort und machte sich auch in der Förderpraxis bemerkbar, dies nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Stimmung einer „Willkommenskultur“ in 2015.
In den letzten Jahren wird diese Öffnung aber begleitet von einer Beschränkungen für bestimmte Asylsuchende insbesondere aus den sog. „sicheren Herkunftsländern“. Norbert Grehl-Schmitt erläuterte vor diesem Hintergrund die sich wandelnden Anforderungen an die IvAF-Netzwerke. Inzwischen stellt sich die Frage, ob und wie Asylsuchende aus „sicheren Herkunftsstaaten“ unterstützt werden können. Zukünftig wird sich daneben die Frage stellen, wie Geflüchtete erreicht werden können, wenn sie längerfristig in den diskutierten sog. „AnkER-Zentren“ interniert werden sollten. Für diese Menschen könnten es sich die IvAF-Akteure zur Aufgabe machen, ihre Beschäftigungsfähigkeit zu erhalten.
Darüber hinaus stellte Norbert Grehl-Schmitt fest, dass bis Ende nächsten Jahres voraussichtlich ein Großteil der Asylverfahren abgebaut werden wird, damit werden zunehmend Personen mit abgeschlossenen Asylverfahren Zielgruppe der IvAF-Projekte. Es wird dann nach Einschätzung von Grehl-Schmitt zunehmend darum gehen, Aufenthaltsperspektiven für abgelehnte Asylbewerber_innen über Ausbildung und Arbeit zu schaffen sowie Schutzberechtigten über Arbeit zu einem dauerhaften Aufenthalt zu verhelfen.